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Gemeinsam Schritte zum Frieden gehen

Ökumenischer Pilgerweg 2002

von Bernd Michl und Sonja Honold

Neues Lernen über wichtige gewaltfreie Vorbilder des öffentlichen Lebens, Beten und schweigendes Gehen, gemeinsam Lieder singen und Gottesdienst feiern: Beim diesjährigen Pilgerweg "Wege aus der Gewalt" vom 9. bis 12. Mai von Traunreut über Burghausen nach Simbach am Inn erlebten die etwa 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, von der Mutter mit einem zweijährigen Buben im Kinderwagen über Schulkinder bis zu ausdauernden Wanderern "gesetzten Alters", aus ganz Bayern Besinnliches, Nachdenkenswertes und Schönes miteinander. Zwar wurde ihnen das Gepäck von einem Auto transportiert, das von einem jungen Mann und Theologiestudenten aus Regensburg gefahren wird, aber das Laufpensum war enorm: Nach dem ersten Tag zum Eingewöhnen wanderte die Pilgerschar am zweiten und dritten Tag etwa sechs bis acht Stunden täglich: zwischen Traunreut und Tittmoning sind gute 30 Kilometer zu bewältigen. Dazu kam garstiges Regenwetter.

Am Ende des viertägigen Pilgerweges 2002 waren die Beteiligten sich dennoch einig: "Es sollte in zwei Jahren wieder einen Pilgerweg geben". Einige von ihnen waren ja schon im Jahr 2000 beim "Entschuldungskampagnen"-Pilgerweg an der Donau, von Regensburg bis Passau, dabei.

Im Rahmen der Ökumenischen Dekade "Gewalt überwinden - eine Kultur des Friedens schaffen" hatten sie sich diesmal im Süden von Bayern auf den Weg gemacht zum "Beten mit den Füßen". Das Pilgermotto "Wege aus der Gewalt" ließ sich an den Orten des Weges, von Tittmoning über St. Radegund nach Burghausen und bis Simbach, eindringlich variieren. Dies war auch Absicht der Veranstalter in Zusammenarbeit mit den örtlich Verantwortlichen, was den Pilgerweg nicht nur zu einer intensiven geistlichen Erfahrung machte, sondern auch die Erfahrung der örtlichen und persönlichen Gewaltgeschichte ermöglichte.

Eingeladen zum Pilgerweg hatten wieder die kirchlichen Missionswerke und das Ökumenische Netz Bayern (ÖNB). Die Veranstalter, das Internationale Katholische Missionswerk MISSIO, vertreten durch Dieter Zabel, das Missionswerk der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, vertreten durch Jutta Boysen, sowie Hans und Maria Koebler und das ÖNB, vertreten durch Bernd Michl, dazu die Missionszentrale der Franziskaner durch P. Othmar Noggler OFMcap., hatten schon im Vorfeld Kontakte mit Interessierten aus den Kirchengemeinden vor Ort geknüpft. Nur so war es möglich, ein thematisch dichtes und gut gestaltetes Pilgerprogramm auf die Beine zu stellen.

Traunreut - erste Erfahrungen

Bereits der erste Tag des Pilgerweges - es war das Fest Christi Himmelfahrt - machte die Teilnehmenden mit einem Ort bekannt, der aus den Gewaltstrukturen der NS-Zeit entstanden war: Traunreut - vor 1938 nur Ort einer im Wald verborgenen "Heeresmunitionsanlage" - bekam nach Kriegsende und den gefahrvollen und wieder mit zahlreichen Opfern verbundenen Aufräumungsarbeiten seinen jetzigen Namen. Menschen, die aus ihrer osteuropäischen Heimat gewaltsam vertrieben worden waren, Rumänen, Ungarn, Bulgaren, Russlanddeutsche, Siebenbürger Sachsen, Donauschwaben, sind hier angesiedelt worden und mit den Einheimischen heute selbst einheimisch geworden.

Die Pfarrer, Thomas Schlichting (röm.- kath.) und Herbert Sörgel (ev.- luth.), der Bürgermeister, der Heimatpfleger und der geschichtskundige Oberstudienrat Reinhard Fuchs brachten den Pilgernden beim Besuch des Heimatmuseums und in dem Eröffnungsgottesdienst nahe, wie hier am Ort als Beispiel aus der jüngsten Geschichte "Wege aus der Gewalt" gegangen worden sind. Der Verantwortliche für den ersten Abschnitt des Pilgerweges, Michael Ströber (Kath. Bildungswerk Traunstein) hatte mit großem Engagement von der Ankunft in Traunreut und bis zum Beginn der zweiten Pilgeretappe umsichtig für das leibliche, geistige und geistliche Wohl der Pilgernden vorgesorgt: Die Eine-Welt-Gruppe in Traunreut und tags darauf die Frauen vom Kath. Frauenbund in Tittmoning, waren von ihm für die Verpflegung ebenso selbstverständlich gewonnen worden wie am Himmelfahrtsabend nach dem Eröffnungsgottesdienst die kath. Jugendband mit Pfarrer Schlichting als improvisierender Stehgeiger und der einheimische Lehrer und Autor Otto Hopfensberger mit einer beeindruckenden Lesung aus seinem Roman "Eine Frage der Gewalt" über jugendliche Gewalttäter.

Über St. Radegund und Tittmoning nach Burghausen

Gespräche und Schweigen, Meditationsimpulse und Betrachtung der vom Menschen gewaltsam beeinträchtigten Schönheit der Natur (sterbender Wald, vom mitpilgernden Förster nahe gebracht) bildeten den Inhalt der langen Wegetappe am zweiten Tag nach Tittmoning. Bunte Pilgerbänder, die beim abendlichen Gottesdienst verteilt worden waren und das vorausgetragene Transparent mit dem Pilgermotto "Wege aus der Gewalt" zeigten im Vorübergehen allen an, dass es sich bei der Gruppe nicht um einen Familienausflug handelte und war obendrein herbeigeeilten Pressevertretern ein Foto mit Interview wert.

Es hatte seinen besonderen Grund für die Pilgergruppe, der sich auf diesem Wegabschnitt auch eine Schülergruppe aus Eggenfelden mit ihrer Lehrerin angeschlossen hatte, für einige Stunden die Landesgrenze nach Österreich zu überqueren: In St. Radegund ist die Gedenkstätte des wegen Kriegsdienstverweigerung 1944 hingerichteten Franz Jägerstätter. Der junge Bauer und Messner hatte aus religiöser Überzeugung und trotz Unverständnis seiner nächsten Umgebung, aber mit Unterstützung seiner heute noch lebenden Frau Franziska seine Entscheidung getroffen und mit dem Leben bezahlt. Bis heute ist er deshalb von Menschen, die international für Pazifismus eintreten, zum Vorbild geworden. Den meisten der Pilgergruppe bisher unbekannt, war die Lebensschilderung, die seine Biografin, Dr. Erika Putz, sehr einfühlsam in den Räumen des zur Gedenkstätte umgewandelten Bauernhauses gab, ein ungewöhnlich nachhaltiges Erlebnis.

Spät am Abend des zweiten Tages, bereits in der historischen Pilgerherberge, dem heutigen Bildungshaus "Haus Heilig Geist" in Burghausen angelangt - nach einer Salzach-Etappe per "Plätte", wie die alten, heute als Touristenattraktion verkehrenden Salzkähne genannt wurden, um den Pilgernden den Weg durch den malerischen Rupertiwinkel zu verkürzen - fand die geschichtliche Erinnerung an Gewaltherrschaft ihre Fortsetzung: Pfr. Andreas Herden (ev. Pfarrer in Burghausen), der sich die Zeit genommen hatte, den gesamten Pilgerweg mitzugehen, führte die Pilgergruppe an die vom Touristenstrom in Burghausen weitgehend unbeachtete Grab- und Gedenkstätte der unbekannten KZ-Häftlinge. Mit Blick auf die gewaltige, martialisch anmutende Burghausener Festungsanlage wurde dort, zusammen mit dem katholischen Dekan und in Anwesenheit der stellv. Bürgermeisterin eine ökumenische abendliche Gebetsstatio gehalten. Alten Burghausern mag dieser Ort noch in schrecklicher Erinnerung sein, weil die Bevölkerung nach der Kapitulation auf Anordnung der Amerikaner an den offenen Gräbern und an den Leichen der Ermordeten Häftlinge vorbeimarschieren musste. "Wege aus der Gewalt" sind schmerzlich.

Von Burghausen nach Simbach

Alternativen zur Gewalt sind nicht leicht zu finden. Das macht tags darauf auch der Pilgerweg entlang des riesigen Industriegeländes der Firma Wacker Chemie, dem größten Arbeitgeber in der Region deutlich. Naturzerstörung oder Wiederherstellung einer gesunden Umwelt, Produktion von umweltverträglichen Gütern, Schaffung von Arbeit für viele Familien, weltweiter Handel und regionaler Wohlstand - dies sind die Gegenwartsprobleme, die nicht selten auch Gewaltstrukturen beinhalten. Der Blick der Pilgernden richtet sich darauf, gerade auch während des gleichzeitigen gewerkschaftlichen Arbeitskampfes.

Fast wird der weitere Weg durch die Innlandschaft, Naturpark und Vogelreservat, der durch Staustufen im Inn entstanden ist, zur versöhnlichen Begegnung mit einem friedvollen Symbol dafür, dass sich die Natur selbst gegen die ihr angetane Gewalt erfolgreich zur Wehr setzt.

Simbach als letzte Station des Pilgerweges vollendet gewissermaßen diese friedliche Symbolik: Mitten in die entsetzlichen täglichen Nachrichten über die Unversöhnlichkeit der Kämpfe zwischen Palästinensern und Israelis, aber umgeben von den Bildern Chagalls zu Begebenheiten aus dem Hebräischen Testament klingen die Lieder der Klezmer-Gruppe Jontef aus Tübingen beim abendlichen begeisternden Abschlusskonzerts in der Gnadenkirche zu Simbach wie ein Angebot zur Versöhnung: Thema des Abends: "Grenzen überwinden".

"Wege aus der Gewalt" sind möglich

Der ökumenische Gemeindegottesdienst am folgenden Tag in der ev. Gnadenkirche, nach vorherigem Pilgerweg durch den Ort Simbach, wird zu einem gelungenen Abschluss des ganzen Pilgerweges. Hauptsächlich der Pfarrer der ev. Gemeinde, Thomas Guba, und die kath. Gemeindereferentin Schmitt, haben dafür die Vorbereitung getragen. Eine Musikgruppe der Berufschullehrer hat den musikalischen Part übernommen, Schüler der Hauptschule entzünden Lichter für den Frieden, von den Pilgern werden Erfahrungen und Anregungen als Predigt vorgetragen. Dass "Wege aus der Gewalt" möglich sind, erweist sich an vielen Beispielen, den zu Kreuzen gesägten Gewehrpatronen aus Liberia, die ein Mitpilger aus seiner Arbeit mit Kriegsopfern in Liberia vorstellt, an Möglichkeiten, mit dem eigenen Geld umzugehen und es bewusst für friedliche Zwecke anzulegen oder die eigene Stimme bei Wahlen friedensbewusst zu verwenden. Der Pilgerweg selbst und der freundschaftlich gewachsene, tolerante Umgang miteinander, mit den verschiedenen Eigenheiten und Erwartungen der Teilnehmenden und nicht zuletzt den eigenen Fähigkeiten, Schwächen und Stärken, ist bereits Beginn dieses Weges. Den Willen, diesen Weg fortzusetzen, nicht erst, aber auch in zwei Jahren, und zwar selbstkritisch mit kleinen Verbesserungen - bestärkte die Abschlussrunde unter den Pilgernden, die sich anschließend wieder aufmachten in ihre Heimatorte, auch außerhalb Bayerns.

Bleibt also auf dem Weg!

Bernd Michl und Sonja Honold

Netz-Info, September 2002
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