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Fordert Schutz der Zivilbevölkerung in den neuen Kriegen!

Schluss mit dem tatenlosen Zusehen

von Dr. Wolfram Rohde-Liebenau


1) Haager Landkriegsordnung von 1907
2) Genfer Rotkreuzabkommen von 1949
3) Verletzung des Völkerrechts und der Menschenrechte durch die neuen Kriege
4) Schlussfolgerungen und Aufforderung zum konkreten Handeln

Die Kriegführung des 21. Jahrhunderts macht die Zivilbevölkerung - Frauen und Kinder - zu den Haupt-Opfern der "neuen Kriege". Deswegen wird immer mehr von der Entstaatlichung der Kriege gesprochen. Zugleich sehen wir bei den Konflikten der großen Militärmächte - der USA ebenso wie Israels - dass besondere Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung nicht mehr in den Horizont der Kriegführenden passt.

Dieser Entwicklung müssen wir entgegenwirken. Das kann geschehen, wenn wir wissen, dass nicht nur Menschen Unrecht angetan wird, sondern dass auch dem Recht - dem Völkerrecht - Unrecht geschieht. Die völkerrechtlichen Regeln für das Verhalten in internationalen aber auch in innerstaatlichen Konflikten verlangen Schutz der Frauen und Kinder. Die Einhaltung dieser Regeln müssen wir bei unserer Regierung und bei allen mit unserer Regierung verbündeten Staaten einfordern. Das bedeutet, dass ein Mitwirken von Deutschland auch innerhalb der NATO überall dort abzulehnen ist, wo anstelle der Verteidigung der Menschenrechte durch rücksichtslose Kriegführung die Menschenrechte verletzt werden.

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hatte 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet, die als Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bezeichnet wurde. Hier sind vom Recht auf Leben und Freiheit über das Verbot der Folter und Sklaverei bis hin zur Gewissens- und Religionsfreiheit alle wesentlichen Menschenrechte so definiert, wie wir sie auch in den Genfer Rotkreuzabkommen von 1949 wiederfinden. Fast alle Staaten der Welt haben diese Menschenrechtserklärung angenommen (mit Ausnahme der USA, Saudi-Arabiens und weniger anderer Staaten). Wenn wir die Rechte der Menschen im Falle von Krieg und Bürgerkrieg nicht schützen, dann werden sie auch im Frieden und im täglichen Zusammenleben der Völker nicht gelten. Jeder von uns - auch in Europa - muss sich fragen, ob wir nicht selbst Opfer einer erbarmungslosen und mitleidslosen Politik werden können, wenn die Flammen der Kriege und Bürgerkriege erst einmal zu uns hinüberschlagen. Schauen wir zurück in die Völkerrechtsentwicklung vor 100 und vor 50 Jahren, dann werden wir feststellen, dass viele Aktionen brennender und mordender Bürgerkriegsparteien in Afrika ebenso Unrecht sind wie einige Aktionen großer Militärmächte.


1) Haager Landkriegsordnung von 1907

Vor hundert Jahren hatte die Haager Friedenskonferenz eine Neuregelung der völkerrechtlichen Grundsätze für das Verhalten im Kriegsfall beschlossen. In der sogenannten Haager Landkriegsordnung von 1907 wurde klar festgeschrieben, dass zivile Ziele bei Beschießungen zu schonen sind und dass die Zivilbevölkerung als solche in keinem Fall Gegenstand von Angriffen sein darf. Damals waren unter den Toten und Verletzten der Kriege maximal ein Zehntel Zivilisten. Der Bombenkrieg des Zweiten Weltkriegs und ganz besonders die Atombombenangriffe auf Japan im August 1945 haben viele vergessen lassen, dass die Regeln dieser Haager Landkriegsordnung aus dem Jahre 1907 allgemein anerkannte Regeln des Völkerrechts sind.


2) Genfer Rotkreuzabkommen von 1949

Die Rotkreuzabkommen von 1949 und von 1977 haben zu einer grundsätzlichen Neuordnung dieser Regeln zum Schutz der Zivilbevölkerung geführt. Dadurch sollten die schlimmen Verletzungen der Rechte der Zivilbevölkerung während des Zweiten Weltkrieges in Vergessenheit gebracht und durch neue, noch strengere Regeln ersetzt werden. Ganz zweifellos stellt das zweite Zusatzprotokoll von 1977 für den Fall innerstaatlicher Konflikte die klarsten Regeln dar, die für die jetzt häufigsten Konflikte völkerrechtlich verbindlich gelten. Auch dieses Zusatzprotokoll von 1977 ist von der Mehrheit aller Staaten unterzeichnet und anerkannt. Lediglich wenige Staaten - besonders die USA - haben ihren Beitritt zu diesem Zusatzabkommen bisher abgelehnt. Wir sollten von unserer eigenen Regierung die Einhaltung dieser Regeln einfordern, zumal durch die Mitwirkung deutscher Soldaten an den Kriegen der USA anerkannte Regeln des Völkerrechts verletzt werden. Deswegen werden wir uns fragen müssen, ob nicht auch deutsche Soldaten und Offiziere eines Tages vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen der Verletzung dieser Regeln zur angeklagt werden könnten.


3) Verletzung des Völkerrechts und der Menschenrechte durch die neuen Kriege

Sowohl einige Aktionen der USA in deren Kampf" gegen terroristische Netzwerke wie das Abwerfen der "Streubomben" als auch die Methoden der Wirtschaftskriege und mancher Bürgerkriege stellen flagrante Verletzungen grundlegender Menschenrechte und anerkannter Regeln des Völkerrechts dar. In den "neuen Kriegen" sind jetzt neunzig Prozent der Toten und Verletzten Zivilisten - Frauen und Kinder - sie sind zum Hauptziel der Kriegsmaschinerie geworden. Auch deswegen müssen wir dagegen protestieren und unsere Regierung auf die völlig unannehmbare Unterstützung solcher illegaler und völkerrechtswidriger Kriegshandlungen hinweisen. Bevor auf die Menschenrechte zurückgekommen wird, muss hier an die Regeln der Genfer Rotkreuzabkommen zum Schutz von Frauen und Kinder erinnert werden (besonders des Zusatzprotokolls von 1977), die für innerstaatliche Konflikte einen Mindestschutz gewähren. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: diese Regeln gelten auch in Konflikten wie zwischen Israel und den Palästinensern oder wie zwischen Russland und Tschetschenien, aber auch bei der amerikanischen Intervention in Afghanistan auf Seiten der Nordallianz zur Bekämpfung der Taliban und der Al Qaida.

Alle Rotkreuzabkommen von 1949 stellen in ihrem gemeinsamen Artikel 3 klar, dass in allen Konflikten - auch wenn es nicht Kriege im völkerrechtlichen Sinne sind - die Achtung vor der Würde des Menschen im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen muss.

Personen, die sich nicht aktiv an feindseligen Handlungen beteiligen, sind unter allen Umständen menschlich zu behandeln - zu diesem Zweck sind die folgenden Handlungen zu jederzeit und an jedem Ort verboten:

Diese allgemeinen Regeln wurden durch das Zusatzprotokoll von 1977 noch wesentlich konkretisiert. Wenn im folgenden hieraus zitiert wird, sollten wir anstelle von "Zivilbevölkerung" jeweils denken an Dorfbewohner, an Frauen und Kinder und an Kriegsgefangene.

Die Zivilbevölkerung und einzelne Zivilisten haben allgemeinen Schutz zu erhalten vor den Gefahren, die von militärischen Operationen ausgehen.

Ganz allgemein darf die Zivilbevölkerung nicht Objekt von Angriffen sein. Gewalttätige Handlungen oder Drohungen mit Gewalt, deren Hauptzweck die Terrorisierung der Zivilbevölkerung ist, sind verboten. Alle Einrichtungen, die zum Überleben der Zivilbevölkerung notwendig sind, wie Nahrungsmittelvorräte, Ernten, Saatgüter, Viehbestände und landwirtschaftliche Gebiete zur Erzeugung von Nahrungsmitteln, Einrichtungen zur Trinkwasserversorgung und Bewässerungsanlagen sind vor Zerstörungen, Wegnahme oder Unbrauchbarmachung zu schützen.

Einrichtungen, die gefährliche Kräfte freisetzen können, wie Dämme, Deiche oder Atomkraftwerke dürften nicht Gegenstand von Angriffen sein.

Alle Menschen, die sich nicht direkt an kriegerischen Handlungen beteiligt haben oder die aufgehört haben sich daran zu beteiligen, haben Anspruch auf Achtung ihrer Person, ihrer Würde, ihrer Überzeugungen und religiösen Handlungen.

Sie werden unter allen Umständen menschlich behandelt: ohne jede Unterscheidung ist ein Befehl, dass es keine Überlebende geben soll, verboten.

Weiter sind verboten kollektive Bestrafungen - dieser Begriff ist nun ganz besonders weit zu verstehen, er bezieht sich sowohl auf körperliche Strafen und Freiheitsstrafen als auch auf evtl. Deportationen/ethnische Säuberungen.

Weiter sind verboten Zuwiderhandlungen gegen die Menschenwürde, erniedrigende und entwürdigende Handlungen, Vergewaltigungen, erzwungene Prostitution und unsittliche Übergriffe. Schließlich sind Plünderungen verboten und alle Drohungen mit den vorgenannten Handlungen.

Kinder sind mit der Fürsorge und Hilfe zu versorgen, die sie benötigen, insbesondere durch Bildung und Ausbildung einschließlich religiöser und moralischer Erziehung entsprechend den Wünschen ihrer Eltern.

Kinder bis zum vollendeten fünfzehnten Lebensjahr dürfen weder zum Militärdienst herangezogen werden noch an Kriegshandlungen teilnehmen. Falls Sie doch dazu gezwungen worden sind, stehen sie nach einer Gefangennahme doch unter dem Schutz dieser die Kinder schützenden Vorschriften des Zusatzprotokolls. Maßnahmen zur Evakuierung der Kinder aus dem Bereich von Kriegshandlungen sollen generell getroffen werden.


4) Schlussfolgerungen und Aufforderung zum konkreten Handeln

Wenn wir die Gesamtheit dieser Regeln für menschenrechtsverpflichtetes Handeln betrachten, dann sehen wir, dass große - und mit modernster (unmenschlicher) Technik ausgestattete - Militärmächte ebenso wie die brennend und mordend herumziehenden Bürgerkriegsparteien sich um nichts weniger kümmern als um die Beachtung der Regeln der Genfer Rotkreuzabkommen. Ganz besonders das Zusatzprotokoll von 1977 wird so behandelt, als ob es nie verabschiedet und von der Mehrheit der Staaten ratifiziert worden wäre.

Wir dürfen weder der rotgrünen Bundesregierung noch einer anderen deutschen Regierung erlauben, dass sie deutsche Soldaten in Kriege entsendet, die den geltenden völkerrechtlichen Regeln widersprechen und uns zu Mittätern an Morden von Frauen und Kindern (von "Zivilisten") machen. Wenn wir nicht unsere Stimmen erheben um dem Einhalt zu gebieten , dann wird es niemand tun. Wenn die Christen in Europa nicht an Grundsätze humanitären Handelns erinnern, dann brauchen sie es von keinem anderen zu erwarten. Und wenn wir nicht unsere Kirchen zu einem "mutigen Wort" (braucht man dazu Mut?) auffordern, dann wird weiter das große Schweigen die Verbrechen gegen Frauen und Kinder, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit zudecken.

Dr. Wolfram Rohde-Liebenau

Netz-Info, September 2002
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