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"Wir haben eine Familie im Irak!"

Irak-Mission am 4.12.2002 aus Bagdad zurückgekehrt

von Andreas Wagner

Vier Tage lang haben sechs Mitglieder der Irak-Mission des Internationalen Versöhnungsbundes, Deutscher Zweig, auf Einladung des Mittelöstlichen Rats der Kirchen (MECC) sich ein Bild von den Lebensverhältnissen der Menschen im Irak gemacht. Sie wollten - wie amerikanische Friedensfreunde, die im September den Irak bereisten, - mit eigenen Augen sehen, wie sich 12 Jahre Embargo ausgewirkt haben, und ein Zeichen der Solidarität bringen. Nachfolgend veröffentlicht das NETZ-Info ihre nach ihrer Rückkehr erstellte Presseerklärung:

"Wir besuchten verschiedene christliche Gemeinden, trafen Vertreter einer muslimischer und der jüdischen Gemeinde und führten Gespräche mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von humanitären Organisationen", so Dr. Matthias Engelke, evangelischer Pfarrer aus Trier.

"Was wir sahen und hörten, spottet jeder Beschreibung", stellt Yosé Höhne-Sparborth, Ordensfrau aus den Niederlanden, fest. "Auf Grund der seit über 12 Jahren andauernden Sanktionen sind die Menschen an einem Punkt angelangt, an dem sie nicht mehr können. Die Menschen haben gerade genug um nicht zu verhungern. Aber jedes zusätzliche Ereignis wie Krankheit oder Verlust der Arbeit stürzt sie in tiefste Not."

"Wo wir hinkamen, baten uns die Menschen alles zu tun, um dieses Embargo endlich aufzuheben", so Thomas Krahe, Drogenberater aus Bichl.

Laut aktuellen UNO-Berichten

Dies erfuhr die Delegation von Francis Dubois, dem Repräsentanten des UN-Entwicklungsprogramms in Bagdad. Und weiter: "Viele Irakis verkaufen ihre monatlichen Essensrationen, um an Bargeld für den Einkauf von Fleisch, Medikamenten, Kleidung und anderen lebensnotwendigen Waren zu kommen."

Edward Miller vom Mennonite Central Committee berichtete der Delegation, dass das jährliche Einkommen pro Einwohner des 22-Millionenstaates 174 US-Dollar beträgt. Im selben Zeitraum gibt die UN 400 US-Dollar für Hundefutter für die Minensuchhunde im Norden des Iraks aus.

"DieSanktionen treffen die einfache Bevölkerung. Das haben wir mit eigenen Augen gesehen," sagt Reinhard Eckert, Pädagoge aus Wien. "Güter mit eindeutig zivilem Zweck fallen unter das Embargo. Im Kinderkrankenhaus in Bagdad sahen wir ein zwei Tage altes gerade erst operiertes Baby, das nicht angemessen medizinisch betreut werden konnte, weil die Geräte und Medikamente auf der Intensivstation nicht ausreichten."

"Krebs im Irak ist ein Todesurteil", so Angelika Schneider, Vorstandsmitglied des Deutschen Zweiges des Versöhnungsbundes. Wichtige Medikamente fallen unter das Embargo. Bestrahlungsbehandlungen sind nur eingeschränkt möglich, weil die Ersatzteile für die einzigen noch funktionierenden Geräte nicht eingeführt werden dürfen und die Einfuhr von medizinischradioaktivem Material verweigert wird.

"Wir erfuhren Freundschaft und Offenheit und keinerlei Zeichen von Ablehnung und Feindschaft", sagt Kjell Jonasson, evangelischer Pfarrer aus Stockholm. "Wir konnten ungehindert durch die Straßen gehen und Bürger von Bagdad luden uns zu sich nach Hause ein."

Im Jahresbericht 2000-2001 von Caritas Irak ist zu lesen:

"Einen Menschen im Wald zu töten, ist nach dem Gesetz ein unverzeihliches Verbrechen. Eine Nation umzubringen ist, so scheint es, eine Frage von Diskussion und Ansichtssache."

Nach unseren Erlebnissen im Irak sind wir der Meinung, dass nicht nur atomare, biologische und chemische, sondern auch die wirtschaftlichen Massenvernichtungswaffen geächtet gehören - und zwar in allen Ländern.

Alle Menschen guten Willens sind dazu aufgerufen, sich den Sanktionen gegen die Bevölkerung des Iraks zu widersetzen und dem drohenden Krieg entschieden entgegenzutreten.

"Wir brauchen Brücken zwischen den Kulturen. 12 Jahre Sanktionen sind zu lang. 10 Jahre haben wir gebraucht, um Brücken zwischen eurer und unserer christlichen Kirche zu bauen. Wie viel Zeit werden wir für die anderen Religionen brauchen? Und wie viel Zeit bleibt uns noch?" Besser als Edward Eshu, Vertreter des Mittelöstlichen Rates der Kirchen (MECC) in Bagdad, können wir es nicht ausdrücken.

Gerade als Christen und Christinnen ist es für uns selbstverständlich, zu zeigen, dass wir zusammengehören:

Wir haben nun eine Familie im Irak."

Ansprechpartner: Thomas Krahe, Sindelsdorferstr. 9, 83673 Bichl, Rel.: 08857/697282 und
Andreas Wagner, Geretsried, e-mail: kontaktstelle@friedensini.de

Wer oder was ist der "Versöhnungsbund?"

Der Internationale Versöhnungsbund wurde 1914 auf einer internationalen Konferenz in Köln gegründet. Er ist ein internationaler Friedensverband, der von Christen und Christinnen im Geiste der Bergpredigt gegründet wurde. Heute vereint er auch Angehörige anderer Weltreligionen sowie Menschen ohne religiöse Bindung, die auf die Wirksamkeit und verändernde Kraft von Liebe und Wahrheit vertrauen und setzen. Zweige des Internationalen Versöhnungsbundes haben sich auf allen Kontinenten und in fast allen westeuropäischen Ländern gegründet. Bei den Vereinten Nationen hat der Verband Beraterstatus. Dem Internationalen Versöhnungsbund gehörten neben vielen anderen Persönlichkeiten der amerikanische Bürgerrechtler und Friedens-Nobelpreisträger Martin Luther King an.

Andreas Wagner/ G.S.

Netz-Info, Dezember 2002
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