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Die höhere Solidarität

"Uneingeschrenkte Solidarität" der Bundesregierung und ihre Folgen

von P. Dr. Othmal Noggler

Schneller als von kritischen Geistern befürchtet, hat sich angesichts des schrecklichen Ereignisses vom 11 Sept. 2001, die vom Bundeskanzler der US-Regierung zugesicherte „uneingeschränkte Solidarität“, als politischer Fehler erwiesen. Das politische Geschäft erlaubt es nicht, Blankoschecks auszustellen; sie könnten in einer Art und Weise eingefordert werden, welche die eigene moralische Integrität beschädigt oder als Wortbruch verstanden wird. Um so anerkennenswerter ist es, dass des Kanzlers Wort: „Kein Ja zu einem Angriffskrieg gegen den Irak“, weiterhin gelten soll; auch unter den erschwerten Bedingungen des Vorsitzes der Bundesrepublik im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Allerdings hätte auch der Kanzler erkennen müssen, dass sich seit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums das Verhalten der US-Regierungen merklich geändert hat.

Dabei hatte das „alte Europa“, - nicht zuletzt dank amerikanischer Hilfe- eben erst gelernt, auf der nationalen und zunehmend auf der internationalen Ebene demokratischen Spielregeln Gewicht zu geben und auf die UN-Charta als das unaufgebbare wie unantastbare „Weltgrundgesetz“ zu bauen. Europa konnte so gemeinsam und mit Hilfe der USA über ein halbes Jahrhundert Frieden halten und über die eigenen Grenzen hinaus Frieden stiftend tätig werden.

Nach dem gewalttätigen 20. Jahrhundert und einem halben Jahrhundert kalten Krieges und Stellvertreterkriegen in der nach Ost- und West gespaltenen Welt, sollte eine neue Ära beginnen. Im Kampf gegen die alten und neuen Geißeln der Menschheit, Malaria, Aussatz, Aids und deren Brutstätte, Unterernährung und Hunger, schien der Völkergemeinschaft ein Ziel vorgegeben, das aller Mühen wert ist. Unvermeidliche Konflikte sollten ohne Waffen ausgetragen und Kriegsverbrecher – auch ehemalige Staatsmänner – vor ein Gericht der Weltgemeinschaft gestellt werden können.

Dann kam der schreckliche 11. September 2001. Es schien voreilig zu sagen, danach werde die Welt nie wieder so sein, wie vorher, und doch ist es so gekommen.

Unter der Führung von George W. Bush gehen die USA einen anderen Weg und wundern sich, wenn Freunde und bisherige Bewunderer nicht mehr mitgehen können. Anzeichen für ein verändertes Denken in den USA gab es schon vor dem schrecklichen Attentat, sie sind alle auf den Nenner zu bringen: „Amerika zuerst“. Aus einem vielleicht nur hitzigen Wort im Kampf um Wählerstimmen, ist „America first“ zur grundlegenden Philosophie der internationalen Politik geworden. Wir haben es also mit einem neuen Amerika zu tun, das sich zunehmend imperialer Sprache bedient ebensolches Gebaren an den Tag legt.

Das „neue Amerika“ zeigt sich an der ferneren Zukunft der Menschheit und des Planeten Erde uninteressiert und lehnt deshalb etwa die Unterzeichnung des Kyoto - Protokolls ab.

Ebenso wenig kümmern es die Verpflichtungen aus der Genfer Konvention gegenüber Kriegsgefangenen aus dem Afghanistankonflikt oder endlich die Möglichkeit, Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einem „Weltgerichtshof“ zu ahnden und Kriegsverbrecher abzuurteilen.

Einen Höhepunkt bildet im Augenblick der Verzicht der US-Regierung auf die Zustimmung des UN-Sicherheitsrates zu einem Angriffskrieg gegen den Irak. Die Verletzung des Völkerrechts, die Meinung der Weltgemeinschaft und wichtiger Teile der eigenen Bevölkerung zählen da nicht mehr.

Das „Not in our name“ amerikanischer Kriegsgegner kann längst nicht mehr als Geschrei von Ignoranten abgetan werden. Dagegen sprechen die Warnung der eigenen 41 Nobelpreisträger, die Kritik des ehemaligen Präsidenten und jüngsten Friedensnobelpreisträgers, Jimmy Carter und die Bedenken der Kirchen vor allem wegen der zu erwartenden Opfer.

Das klare Nein des Bundeskanzlers zu einem Krieg zur Entwaffnung Saddam Husein's mögen viele als zeitlich verfrüht, die internationale Position Deutschlands unnötig schwächend ansehen. Gesellschaften wie Politiker des Südens, die über eine längere Erfahrung mit den USA verfügen als Europa, sehen in der Haltung Deutschlands ein mutiges Zeichen dafür, daß beides möglich sein könnte: Einen Diktator Verbrecher gegen die Menschlichkeit in die Schranken zu weisen und auch eine hegemoniale Weltmacht nicht aus völkerrechtlicher wie moralischer Selbstbeschränkung ausbrechen zu lassen.

Mit einem nicht als „ultima ratio“ erkennbaren und von der Autorität der UNO nicht getragenen Krieg selbst Schicksal spielen zu wollen, heißt sich die Verantwortung für eine „weitere Niederlage der Menschheit“ vor der Geschichte und, für gläubige Menschen, vor dem Schöpfer aufzubürden, und auch noch an die deutlichen Worte Papst Johannes Pauls II. beim Neujahrsempfang für das diplomatische Corps erinnern.

Ungeduld ist ein schlechter Ratgeber, zumal wenn Tausende von Menschenleben auf dem Spiel stehen und die Mittel, ohne Krieg auszukommen, noch lange nicht ausgeschöpft sind.

Kein Wunder also, wenn das alte Europa, das Amerika so viel verdankt, dieses neue Amerika nicht mehr versteht. Bleibt nur zu hoffen, daß Europa zu seinen ererbten ethischen Wurzeln zurückfindet, die lehren, was einen Krieg zu rechtfertigen mag, vor allem aber, was einen gerechten Frieden ausmacht. Ebenso bleibt zu hoffen, daß Europa zu seiner Lehrzeit - nicht zuletzt unter der Anleitung der Vereinigten Staaten von Amerika seit dem II. Weltkrieg - steht, auch, wenn es sich nun zeitweilig den Unmut des Lehrmeisters zuzieht.

Hier geht es, aus christlicher wie humanistischer Sicht, um eine höhere Art der Solidarität, nämlich die mit den Opfern. Eigene politische, möglicherweise auch wirtschaftliche Nachteile aus dieser „Option für die Armen“ dürften dabei nicht ins Gewicht fallen.

Es geht auch um das gemeinsame Wertesystem der Völker, niedergelegt in der UN-Charta, das nicht ohne enormen moralischen Schaden für die Menschheit, damit auch für die Weltmacht USA, beschädigt werden darf.

P. Dr. Othmar Noggler

Netz-Info, April 2003

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