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Standpunkt

zum Vorgehen der USA gegen den Irak

von P. Dr. Othmar Noggler

Demokratie ist ein mühsam errungenes, kostbares Gut, das es zu schützen gilt. Immerhin beschränkt diese Staatsform die politische Macht eines Einzelnen auf Zeit und verhindert so eine mögliches Auswachsen von Mandatsträgern zu Diktatoren.

Dagegen garantiert Demokratie keineswegs automatisch die Beachtung der Menschenwürde und die Einhaltung der Menschenrechte. Immer gab es Teile der Bevölkerung, wenn nicht eine Mehrheit, die nicht zum „Volk“ (demos) gehörte. In erster Linie betraf dies die Frauen. In den USA z.B. zählten Indianer und Afro-Amerikaner, in Großbritannien die Katholiken Irlands dazu. Dass „farbige“ Menschen in den jeweiligen Kolonien kein Recht auf politische Mitgestaltung haben, war allgemeine Überzeugung der Kolonialherren.

Was in der Gegenwart alles mit der Staatsform Demokratie vereinbar ist, zeigen die Parlamentswahlen in Israel. Die traumatisierte Bevölkerung, die sich von einem Militär Ruhe und Frieden erhofft, wird die Fortführung der bisherigen Politik ermöglichen.

Und das bedeutet: Weiterhin können bodenständige Palästinenser “legal“ von Grund und Boden vertrieben werden, können UNO-Resolutionen missachtet, erbetene Blauhelm-Missionen abgelehnt, eine eventuell geforderte internationale Untersuchung, wie im Falle von Jenin, wegen des Verdachts auf ein Massaker, durch Hinhaltetaktik abgewehrt werden.

Mit dem Recht der demokratischen Mehrheit und dem atavistischen „Recht des Stärkeren“, kann weiterhin, zwar völkerrechtswidrig, aber gesetzlich abgesichert, auf fremdem, militärisch besetztem Gebiet Siedlungsbau betrieben werden.

Dazu kommt eine abscheuliche Sippenhaft, die wir endgültig dem finstersten Kapitel unserer eigenen Geschichte zugeordnet dachten.

Der Einfluss derer in Israel, die noch am eigenen Leib erfahren mussten, was es heißt, rechtlos und verachtet zu sein und der Einfluss derer, die, ebenfalls aus leidvoller Erfahrung, wissen, was es bedeutet, wehrlos einem Bombenhagel ausgesetzt zu sein, der Einfluss dieser Generation ist mit der Zahl der Noch-Lebenden im Schwinden. Den Nachgeborenen fehlt offensichtlich die Phantasie, manchmal auch der Wille, sich in die verzweifelte Lage der Opfer hineinzudenken.

Das ist jedoch die Stärke derer, die in Israel, in den USA und bei uns ihr generelles Nein zu einem Präventivkrieg, und sei es gegen den Irak, sagen. Dieses Nein beruht in erster Linie auf ethischen Überzeugungen. Darüber hinaus sprechen für dieses Nein aber auch gute, rationale Gründe.

Zu letzteren gehört die Tatsache, dass im Augenblick kein Land der Welt derart beobachtet ist, wie der Irak. Die geradezu gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung der US-Regierung, die UNO-Resolution 1441 sei gröblich verletzt und damit der Grund für einen Präventivschlag gegeben, lässt aufhorchen. Zumal, wenn dafür überzeugende und einwandfreie Beweise fehlen und dann z.B. der lächerliche Fund von Unterlagen zur Herstellung von Nuklearwaffen bei einem Wissenschaftler herhalten muss. So, als handle es sich um ein Kochbuch, mit dessen Hilfe man Atombomben in jeder Hinterhofwerkstatt basteln könnte.

Allein die ständige Drohung mit einem US-amerikanischen Alleingang ohne Bindung an den Weltsicherheitsrat, dieser zwar verbesserungswürdigen, aber in der Weltgeschichte einmaligen Errungenschaft, hat bereits enormen Schaden in der Welt angerichtet; knüpft diese Haltung doch an die berüchtigte „Kanonenbootdiplomatie“ des 19. Jahrhunderts an.

Die 41 amerikanischen Nobelpreisträger haben in geradezu klassischer Weise diese Einschätzung unterstrichen: Die „medizinischen, ökonomischen, ökologischen, moralischen, geistigen politischen und juristischen Konsequenzen eines amerikanischen Präventivschlages (würden) die Sicherheit und das weltweite Ansehen der Vereinigten Staaten nicht schützen, sondern untergraben“ (Neue Zürcher Zeitung, 29. 1. 2003, Nr. 23, S. 1).

Wäre nicht eine ständige, unbegrenzte Anwesenheit und Tätigkeit von UNO-Inspektoren zusammen mit Satellitenbeobachtung und Geheimdiensterkenntnissen hinreichend, um den Diktator in Schranken zu halten und den Irak als mögliche Versorgungsbasis für Terroristen auszuschalten?

So oder ähnlich denken viele. Wenn die Umfragen stimmen, ist jeweils die Mehrheit der Bevölkerung in den befragten Staaten gegen einen Präventivschlag. Wer gibt dann aber den Mandatsträgern das Recht gegen den Willen des Souverain zu handeln, wenn dieser sagt?: „Nicht in unserem Namen!“

Nicht in unserem Namen darf das Leiden des irakischen Volkes vermehrt werden. Der Erzbischof von Basra, Gabriel Kassab bittet inständig darum, auf die Regierungen einzuwirken, das Embargo endlich aufzuheben und die österreichische Ärztin, Eva-Maria Hobiger beklagt, dass im Süden des Irak Monat für Monat 5000 Kinder sterben, weil medizinisches Gerät fehlt. Seit neun Monaten wartet sie darauf, einen Plasmagefrierschrank einführen zu dürfen. Es war einzig der US-amerikanische Vertreter der Sanktionskommission, der bisher die Einfuhr verhinderte.

Offensichtlich ist es der Propaganda der Falken gelungen, die sonst so sensible Bevölkerung der USA, wenn es um das Leid von Kindern geht, vergessen zu machen, wie viel Elend die Politik ihrer Regierung schon jetzt im vermeintlichen „Kampf gegen das Böse“ verursacht.

Wir alle wissen, wie schwer es ist, Freunden gegenüber einen eigenen, unterschiedlichen Standpunkt einzunehmen. Zu leicht wird solches Verhalten als Aufkündigung der Freundschaft verstanden und führt zu tiefen Verletzungen.

Das gilt auch gegenüber dem Volk Israel und der Bevölkerung der Vereinigten Staaten.

Im deutschen Dauerwahlkampf ist der Vorwurf der „Verantwortungslosigkeit“ eine Stereotype geworden. Ein klares Nein zu einem „Krieg für alle Fälle“ – so heißt wohl Präventivkrieg auf deutsch – ist sicher nicht verantwortungslos.

Über Modalitäten, ob mehr oder minder geschickt auf dem politischen Parkett gespielt wurde, ließe sich streiten, sofern die Verantwortung für Tausende unschuldiger Menschenleben der Ausgangspunkt ist.

Politische, ziemlich sicher auch wirtschaftliche Nachteile für unser Volk und damit materielle Opfer wären abzuwägen gegenüber Opfern an Menschenleben.

Wohin ein Gewissen tendiert, das sich an der prophetisch-jüdischen, christlich-jesuanischen oder franziskanischen Tradition orientiert, ist unzweifelhaft und wozu eine Wertegemeinschaft, die sich auf den abendländischen Humanismus beruft, neigt, steht ebenfalls außer Frage: Zum Nein gegen vermeidbare Kriege.

31.01.03, P. Dr. Othmar Noggler

Netz-Info, April 2003

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