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Höchste Zeit zum Widerspruch

Neue verteidigungspolitische Richtlinien verwandeln die Bundeswehr in eine Interventionsarmee

von Wolfram Rohde-Liebenau

Bundesminister Struck hat neue verteidigungspolitische Richtlinien (VPR) erlassen, die wir kennen und gegen die wir uns wenden müssen.

Lasst uns als erstes erinnern, dass die Bundeswehr in unser Grundgesetz als reine Verteidigungsarmee eingebracht wurde:

Art. 87 a Abs. 1 GG: Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.

Abs. 2 Außer zur Verteidigung dürfen Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.

Die zusammen mit der Druckfassung der VPR veröffentlichten „Erläuterungen zu den verteidigungspolitischen Richtlinien“ sprechen die neuen Zielsetzungen aus, die verfassungsrechtlich fragwürdig und politisch problematisch sind.

Trostreich ist es, dass „die Fähigkeiten zur Landesverteidigung gegen einen konventionellen Angreifer nicht mehr benötigt werden“ – also könnte die Bundeswehr wohl abgeschafft werden?!

Weiter wird klargestellt, dass auch ein „Angriff auf das Bündnis als Ganzes unwahrscheinlich geworden ist.“

Damit könnten wir also auf den ganzen Militärapparat verzichten? Nein, denn nun setzt Peter Struck zum Gegenschlag an: „Die Aufgabe der Landesverteidigung wird durch den umfassenderen Begriff des Schutzes Deutschlands und seiner Bürger ersetzt.“ So einfach ist es: Der Schutz Deutschlands und seiner Bürger in den Zeiten der Cholera (oder des Terrorismus) kann nur durch eine in ihrem Charakter völlig veränderte Bundeswehr sichergestellt werden.

Es wird klargestellt, was gewollt ist: das „künftige Aufgabenspektrum unserer Streitkräfte unter Berücksichtigung des Wandels zu einer Armee im Einsatz“. Und was soll das bedeuten? Die Antwort lesen wir: „Die Vielfalt der Einsätze korrespondiert mit den erhöhten Anforderungen an eine vorausschauende Aussen- und Sicherheitspolitik. Die Einsätze der Bundeswehr werden sich weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen lassen.“ Natürlich stellt Bundesminister Struck auch eine veränderte Beschaffungs- und Ausrüstungsplanung der Bundeswehr dar: Hier werden Prioritäten verlangt für "die bisher nicht vorhandenen Teilfähigkeiten Strategische Verlegung, weltweite Aufklärung sowie leistungsfähige und interoperable Führungssysteme und -mittel. " Außerdem will man Maßnahmen zum Schutz vor Auswirkungen eines Informationskrieges entwickeln.

Es muss wirklich als absurd bezeichnet werden, dass einerseits die Landesverteidigung als gegenstandslos bezeichnet wird und sogar ein Angriff auf das Bündnis als Ganzes unwahrscheinlich genannt wird, dass aber andererseits unter dem neuen Begriff des „Schutzes Deutschlands und seiner Bürger“ für die Bundeswehr ein Aufgabenspektrum dargestellt wird, das eigentlich keine militärischen Inhalte mehr hat, sondern mit den Begriffen der Krisen- und Konflikt- Prävention zugleich die Sicherung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit Deutschlands als Ziel formuliert und vorgibt, dass dafür das Militär mit modernster Ausrüstung und hohen finanziellen Anforderungen zur Verfügung stehen müsse.

In erster Linie haben wir als Bürger die Aufgabe, solchen verteidigungs-politischen Richtlinien unsere Forderungen nach wirklicher ziviler Krisen- und Konfliktprävention entgegenzusetzen. Ganz besonders müssen wir uns dabei auf die Unterstützung durch Bündnis 90/die Grünen verlassen. Wir müssen aber auch sehen, welche Dimensionen der Verteidigungsetat im Gesamthaushalt der Bundesrepublik hat und wie gering daneben die Ausgaben für Friedenspolitik und Entwicklungspolitik sind.

Peter. Struck hatte bereits im Dezember 2002 erklärt, dass die Hauptaufgabe der Bundeswehr künftig nicht mehr die Landesverteidigung sei, sondern Aufgaben im internationalen Bereich. Die VPR vom 21. Mai 2003 sind Ausdruck dessen, was er fünf Monate vorher als neue politische Linie verkündete.

Eine Diskussion oder gar eine Entscheidung des Bundestages auf diesem Gebiet gibt es nicht. Die Bundeswehr ist eine „Parlamentsarmee“, ihr Einsatz außerhalb Deutschlands kann in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1994 nur durch Beschlüsse des Bundestags geregelt werden.

Die VPR sind ohne Zustimmung des Bundestages eine ungültige und verfassungswidrige Festlegung eines neuen (über die Verfassung hinausgehenden) Auftrags der Bundeswehr. Das gilt besonders angesichts der Ziffern 7 und 8 der VPR:

„Die VPR bestimmen... den Auftrag der Bundeswehr, gewichten deren Aufgaben und machen Vorgaben für die Fähigkeiten der Streitkräfte der Zukunft.“

Die VPR sind die verbindliche Grundlage für die Arbeiten im Geschäftsbereich des Bundesminister der Verteidigung. Sie werden angesichts der Dynamik der sicherheitspolitischen Herausforderungen regelmäßig überprüft und weiterentwickelt.“

Die Kernaussagen beschreiben ihren klaren Widerspruch zu den Festlegungen im Grundgesetz (Landesverteidigung):

„Eine Gefährdung deutschen Territoriums durch konventionelle Streitkräfte gibt es derzeit und auf absehbare Zeit nicht. Für die Bundeswehr stehen Einsätze der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung sowie zur Unterstützung von Bündnispartnern, auch über das Bündnisgebiet hinaus, im Vordergrund.

Die herkömmliche Landesverteidigung gegen einen Angriff als alleine strukturbestimmende Aufgabe der Bundeswehr entspricht nicht mehr den aktuellen sicherheitspolitischen Erfordernissen. Die nur für diesen Zweck bereitgehaltenen Fähigkeiten werden nicht länger benötigt.“

Anstelle vorheriger Prüfung und parlamentarischer Diskussion der Aufgaben im internationalen Bereich – Krisen- und Konfliktverhütung – wird der Auftrag der Bundeswehr auf eine „Armee im Einsatz“ – also in der permanenten militärischen Anwesenheit in fremden Staaten – ausgerichtet. Richtig wäre es, diese Grundsatzfrage im Bundestag diskutieren zu lassen – die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee und keine Ministerial-Armee – aber auch hinsichtlich des Finanzaufwands wäre es richtig festzustellen, was zweckmäßigerweise durch das Militär (die Bundeswehr) oder durch andere Kräfte (u.a. zivile Friedensdienste) zu leisten ist. Der Aufwand dafür würde sicher unter den 26 Milliarden Euro liegen, die Minister Struck jetzt für seine Interventionsarmee fordert.

Wolfram Rohde-Liebenau

Netz-Info, Sommer 2003

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