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Neuer Gott Geld - Kapitalismus als Ersatzreligion?

Tagung der Katholischen Akademie München 3./4. Mai 2002

von Gudrun Schneeweiß

Der lateinische Begriff "religio" leitet sich von dem Tätigkeitswort "religare" ab, das mit "zurückbinden", "anbinden" oder "losbinden" ins Deutsche übersetzt werden kann. Dementsprechend variieren die Übersetzungen für "religio" von "Verpflichtung" über "Gottesverehrung" und "die aus dem Kult entspringende Heilighaltung" bis zu "Frömmigkeit" und "Glaube", ja "Aberglaube" und "haftender Fluch". Allen Aspekten gemeinsam ist aber, dass ihnen "Vertrauen" des Menschen in ein außer ihm seiendes Wesen immanent ist.

Und das Wort "Geld"? Es bedeutete allgemein im germanischen Raum von jeher "Lohn" aber auch "kultische oder rechtliche Abgabe", ja "Strafe", wurde also zuerst im Bereich des Kultes und des Rechts gebraucht. Erst seit dem 16. Jahrhundert setzt sich der Begriff in der Bedeutung "geprägtes Zahlungsmittel" durch.

Was haben nun "Religion" und "Geld" mit einander zu tun? Nun, bei beiden Begriffen hängt deren Wert am "Vertrauen", das der Mensch in sie setzt. Der Wert des Geldes - in welcher Form auch immer, ob Edelmetall, Riesenstein oder Kaurimuschel - entsteht aus dem Material, der Arbeit, die in dessen Bearbeitung gesteckt wird und dem "Vertrauen" des Menschen in seinen Wert.

Im letzten spielt es keine Rolle, wie die Entstehung des Geldes erklärt wird, ob es religiösen, rechtlichen oder profanen Ursprungs als Tauschmittel ist.

Um seine Funktion als reines Tauschmittel, das den Warenaustausch erleichtert, zu gewährleisten, verbot schon die Hebräische Bibel das Zinsnehmen und - die Bodenspekulation, denn die Welt gehörte Jahwe allein, der Mensch ist nur Sachwalter Gottes in der Welt. Auch der griechische Philosoph Aristoteles wandte sich gegen Zinsgeschäfte mit Geld, die er als einen "Verstoß gegen die Natur" brandmarkte, obwohl oder gerade weil zu seiner Zeit bereits munter Geld gegen hohe Zinsen verliehen wurde.

Diese Einstellung übernahm das Christentum und hielt sie im ersten Jahrtausend auch weitgehend durch.

Doch im hohen Mittelalter hinkte die Lehre der Kirche bereits hinter der Entwicklung hinterher: Eine sich differenzierende Wirtschaft, die Konzentrierung der Wirtschaftskraft in den Städten und der Fernhandel förderten die Bedeutung von "Geld" als Zahlungsmittel. Zudem waren Edelmetalle als dessen Grundlage rar und ließen es dadurch in seinem Ansehen und seinen Möglichkeiten zur Vermehrung von Wohlstand durch reine "Geldgeschäfte" ungeahnt steigen. Geld wurde "wertvoll". Deswegen versuchten Fürsten und Bischöfe mit der Ausgabe von Brakteaten, kleinen nur einseitig geprägten Silbermünzen ohne sonderlichen Wert, der Entwicklung, Geld zu horten, mit Waren zu spekulieren, zu steuern. So wetterte der Regensburger Prediger Berthold im ausgehenden 12. Jahrhundert gegen den "Wucher", d.h. das Zinsnehmen, und Thomas von Aquin stellte fest, dass Gewinn aus reinen Geldgeschäften gegen die Ordnung Gottes verstoße, denn "Geld gebiert nicht Geld".

Aber der Siegeszug des Geldes war nicht mehr aufzuhalten, denn auch die Gesellschaft wandelte sich von einer geschlossenen Agrargesellschaft hin zur einer offenen frühkapitalistischen, so dass Martin Luthers Predigten gegen das Zinsnehmen als anachronistisch einzuschätzen sind. Auch bei den Theologen und Philosophen des 16. Jahrhundert zeigt sich ein Wandel in der Beurteilung des Zinsnehmens, aber sie plädieren für Mäßigung: 5 % seien angemessen ...

Hortung von Geld lässt Geldknappheit im Geldkreislauf entstehen, deswegen muss durch "attraktive Angebote" an den Horter wieder in den Wirtschaftskreislauf eingespeist werden. Der Zins feiert selige Urständ! Und wiewohl die Tagung sich philosophisch-theologisch mit dem Phänomen Geld beschäftigen will, bleibt ein Exkurs über die unselige Spirale von Kreditaufnehmen, Zinsen, Zurückzahlen und dem daraus resultierenden unseligen Zwang zu immer mehr Produktion, den unsere Gegenwart "Wirtschaftswachstum" nennt und ein Euphemismus für die absolute Herrschaft des Geldes darstellt, nicht aus.

Geld kann Freiheit schaffen, um Bedürfnisse zu befriedigen, ohne von jemandem abhängig zu sein, darüber hinaus aber verschafft es Macht, alle Lebensbereiche nachhaltig zu beeinflussen. "Vermögen" ist eben nicht nur Geld-, Immobilien- und Grundbesitz, sondern vor allem die Eigenschaft, Einfluß nehmen zu können, Sicherheit zu versprechen und das "Leben in Fülle" ... Und deswegen strebt der Mensch nach immer mehr Geld, sein Erwerb kann zum Fixpunkt seines Lebens werden. Ja, "Geld" ist als "Gott" leichter zu begreifen als der Gott der Bibel!

Dass "Geld" und seine Wirtschaftsform "Religion" werden kann, zeigt sich - bei den Bankgebäuden: Der "Gläubige" betritt Gebäude, die in ihrem Ausmaß oft durchaus mit Kirchengebäuden konkurrieren können, die Berater darin sind die "Priester" des Kults, der "Geld machen" heißt, und selbst den "Beichtstuhl" gibt es, das sehr private Beratungszimmer für Kreditnehmer, wo dieser sich vor dem Berater erklären muss. Aber dieser Gott "Geld" ist ein Menschenfresser, denn rücksichtslos werden die Armen, die sich mit ihrer Hände Arbeit kaum das tägliche Brot verdienen, ihm zum Opfer gebracht. Er ist ein banaler Gott, weil er den Menschen mit Surrogaten des guten Lebens lockt, und er ist vulgär, weil er alles käuflich erscheinen lässt.

Wie kann diese höchst verderbliche Entwicklung gewendet werden? Dafür gibt es letztlich nur ein Rezept: die Entlarvung des "Gottes Geld" und der "Religion Kapitalismus", indem Geld auf seine eigentliche Funktion zurückgeführt wird, indem "mensch" möglichst weder Gläubiger noch Kreditnehmer ist, die Staatengemeinschaft den rasenden Umlauf einer imaginären Geldsumme um den Globus durch Steuern bremst und umleitet. Und der Christ muss sich wieder bewusst werden, dass die besten Weisungen dafür in den recht verstandenen Vorschriften der Thora zu finden sind, und daß sich die "Mächte und Gewalten" der Schrift je nach Leben des Menschen für ihn in Engel oder Dämonen verwandeln können.

Die Referate dieser Tagung werden in einer Schrift der Akademie spätestens 2003 veröffentlicht sein.

Gudrun Schneeweiß

Netz-Info, Juni 2002
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