Betr: *Bericht von Markus Pohlin Kontraste am 25.8. 2016*


Sehr geehrte Frau Schlesinger,

der Bericht in ARD-Kontraste am 25.8.2016 zur Finanzierung von „Terroristen“ in den von Israel Besetzten Palästinensischen Gebieten wirft einige Fragen auf.

Der Beitrag beginnt damit, dass ein palästinensischer Jugendlicher ein 13 Jahre altes Mädchen in einer israelischen Siedlung ermordet hat.

Der Autor Markus Pohl verliert kein Wort darüber, dass die israelische Siedlung auf geraubtem palästinensischem Land gebaut wurde und wie alle sog.Siedlungen völkerrechtlich illegal ist. Dies hat der Internationale Gerichtshof in seinem Gutachten vom 9.7.2004 unter Hinweis auf die Vierte Genfer Konvention festgestellt.

Palästinensische Kinder und Jugendliche müssen nicht zum Hass oder zu Mördern oder gar Selbstmordattentätern erzogen werden. Sie erleben tägliche Schikanen, Unterdrückung, willkürliche Razzien,
Angriffe mit Tränengas, Gummigeschosse, willkürliche Verhaftungen mit tausenden politischen Gefangenen, völkerrechtswidrige Administrativhaft ohne Anklage und Prozess.
Manchmal werden Palästinenser willkürlich erschossen, sei es von Siedlern, die stets bewaffnet sind, oder von Soldaten.

Aufsehen erregte unlängst, dass ein israelischer Soldat einen reglos am Boden liegenden Palästinenser mit einem Kopfschuss tötete. In einer Umfrage pries die Mehrheit der Israelis ihn als Helden und schlug ihn für einen Orden vor. Hass und Gewalt finden sich leider auf beiden Seiten. Die Gewaltspirale hat jedoch einen Ursprung, nämlich die israelische Besatzung, die bereits im 50. Jahr andauert.

UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat dazu gesagt: „Es liegt in der Natur des Menschen, auf die Besatzung zu reagieren, die oft als mächtiger Brutkasten des Hasses und des Extremismus dient.“

Es ist nicht zufällig, dass der israelische Philosoph Omri Boehmin seinem Beitrag „Eine aufgeklärte Besetzung?“in der ZEIT vom 6.8.2015, S. 42 expressis verbis von israelischem Staatsterrorismus spricht.

Der Begriff des Terrorismus wird leider in Ihrem Beitrag völlig undifferenziert von der israelischen Propaganda übernommen. Der verstorbene französisch-jüdische Diplomat und Menschenrechtler Stéphane Hessel, der durch sein Büchlein „Empört Euch!“ bekannt wurde, schreibt, dass die israelischen Behörden selbst friedliche und gewaltfreie Demonstrationen der Palästinenser als „gewaltlosen Terrorismus“ bezeichnen (S.19).

Ist jeglicher Widerstand gegen ein Besatzungsregime Terrorismus? War der Friedensnobel-preisträger Willy Brandt ein Terrorist, weil er in Norwegen gegen die deutsche Wehrmacht kämpfte?
War Charles de Gaulle ein Terrorist, als er die Résistance gegen das Besatzungsregime der Nazis ausrief? Waren die Aufständischen des Warschauer Gettos Terroristen, weil sie sich dem Terror der Nazis widersetzten?
Warder Friedensnobelpreisträger Menachem Begin ein Terrorist, der dasKing-David-Hotel in die Luft sprengen ließ, wobei 91 Menschen ums Leben kamen?
War der Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela ein Terrorist, weil er zum bewaffneten Kampf gegen die Apartheid der südafrikanischen Regierung aufrief?

Fakt ist, dass Israel seit Jahrzehnten in vielfältiger Weise die grundlegenden Menschenrechte der Palästinenser verletzt. Amnesty International, Unicef, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, der UN-Menschenrechtsrat prangern dies immer wieder an, und die UN-Organisation OCHA OPT dokumentiert die Menschenrechtsverletzungen regelmäßig.

Fakt ist, dass die Enteignung von Land, der Siedlungsbau, der Mauerbau und die Ausbeutung der Wasserressourcen völkerrechtswidrig sind. Daran lässt weder die Bundesregierung noch der Bundespräsident noch die EU irgendeinen Zweifel. Es ist allerdings ein Skandal, dass sie es bei verbaler Kritik belassen, statt finanzielle Hilfe für Israel an Konditionen zur Einhaltung der Menschenrechte zu knüpfen.

Der Beitrag von Markus Pohl erinnert mich an Anfeindungen, denen der Ökumenische Rat der Kirchen in den siebziger und achtziger Jahren ausgesetzt war, er finanziere mit kirchlichen Mitteln Terrorismus, weil er das Antirassismusprogramm gegen die Apartheidpolitik in Südafrika aufgestellt hatte.

Der Bericht in Kontraste ist in einer strategischen Linie Israels zu sehen. Humanitäre NGOs sollen in Misskredit gebracht werden, wie etwa World Vision. Projekte, die mit EU Mitteln finanziert wurden wie etwa die palästinensischen Dörfer Susiya und Umm-al-Kheir südlich von Hebron, werden von israelischen Soldaten plattgemacht. Darüber hinaus sollen alle Hilfsgelder der EU ins Zwielicht gesetzt werden, obwohl es nach internationalem Recht Aufgabe der Besatzungsmacht ist, dass die Wirtschaft des besetzten Gebietes nicht abgewürgt wird. Der israelische Ökonom Shir Hever hat nachgewiesen, dass Israel trotz der Missachtung von Menschenrechten und Völkerrecht pro Kopf mehr finanzielle Hilfen aus dem Ausland erhält als die Palästinenser.

Israels Ziel ist, den Palästinenserndie Existenzgrundlage zu rauben und sie auf diese Weise zu vertreiben. Laut einer Umfrage sprechen sich 48 % der jüdischen Israelis dafür aus, alle Palästinenser, das sind immerhin insgesamt mindestens 4 Millionen Menschen, irgendwohin in die Wüste östlich des Jordan zu deportieren.
Sie nennen dies allerdings nicht Deportation, sondern „Transfer“.

Über die Willkür und Brutalität, über den Staatsterrorismus des israelischen Besatzungsregimes zu berichten, das eindeutig die Menschenrechte verletzt und das Völkerrecht missachtet, wäre ein lohnendes Thema für die Sendung Kontraste. Aber dafür fehlt Markus Pohl entweder das Interesse, oder er hat Angst, dass es ihm so ergeht wie seinem Kollegen Markus Rosch vom BR, der nach seinem Bericht über den Wasserraub Israels Morddrohungen erhielt.

Der Bericht von Markus Pohl erzeugt Stimmungen,ohne auch nur andeutungsweise nach den Ursachen von Gewalt und Terror, nämlich nach der seit 50 Jahren andauernden brutalen Besatzung zu fragen.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Breidert

Vizepräsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft e.V.
Vorstandsmitglied im Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung
(www.bib-jetzt.de <http:
www.bib-jetzt.de/>)
Sprecher im Koordinationsrat Palästina Israel (KoPI)