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Gesetz zur Endlagersuche

Das Gesetz wird scheitern. Aber es gibt eine Alternative.
Eine Stellungnahme von Jochen Stay auf ausgestrahlt.de


Parteien, Bund und Länder haben sich auf ein Endlagersuchgesetz geeinigt und wollen es noch vor der Sommerpause beschließen. Aber solange die Bevölkerung aufgrund der schlechten Erfahrungen der Vergangenheit der Politik nicht traut, hat kein Suchverfahren Aussicht auf Erfolg. Deshalb braucht es jetzt zuerst einen gesellschaftlichen Konsens über ein Verfahren und dann erst das Gesetz. Wir AtomkraftgegnerInnen machen der Politik ein weitreichendes Angebot zur Mitarbeit.

Die langfristige absolut sichere Lagerung von Atommüll ist ein technisch und ethisch unlösbares Problem. Bundesumweltminister Peter Altmaier hat es bei einem Besuch im Wendland Anfang des Jahres auf den Punkt gebracht: »Eigentlich hätte man gar nicht anfangen dürfen, diesen Müll zu produzieren.« Jetzt ist »das Zeug«, wie Winfried Kretschmann es nennt, in der Welt und bedroht überall, wo es derzeit lagert, die AnwohnerInnen: auf dem Gelände der AKW, in maroden Salzbergwerken, in den Zwischenlagern Ahaus, Gorleben und Lubmin, an Atomfabriken und Forschungseinrichtungen. Und täglich wird es mehr.

Ein »Endlager«, also eine geologische Formation, in der der strahlende Abfall eine Million Jahre sicher lagert, wird es nicht geben. Von der Vorstellung, der Atommüll ließe sich irgendwo auf Dauer uneingeschränkt sicher aufbewahren, sollten wir uns schleunigst verabschieden. In der Asse und in Morsleben hat das noch nicht einmal drei Jahrzehnte geklappt. Es kann nur eine Suche nach der am wenigsten schlechten Lagermethode und dem am wenigsten schlechten Lagerort geben.

Was braucht es, damit die Bevölkerung vertraut?

Eine Region muss dereinst stellvertretend für die Gesellschaft die Gefahren der Lagerung auf sich nehmen. Es ist ein Gebot politischer Wahrhaftigkeit, den Menschen dort zu sagen, dass sie ein Risiko eingehen und dass es trotzdem nötig ist. Damit die Lagerung an diesem Ort, wenn ihn die Wissenschaft ermittelt hat, nicht am Widerstand der Bevölkerung scheitert, braucht es ein Suchverfahren, das höchsten Ansprüchen genügen muss.

Denn nur wenn die betroffene Bevölkerung Vertrauen in das Such- und Auswahlverfahren und in die AkteuerInnen der Suche hat, nur wenn ihre Bedingungen an das Verfahren erfüllt sind, wird sie möglicherweise zustimmen, statt das Lager zu verhindern.

Verschärfend kommt hinzu, dass in den letzten 35 Jahren in der Atommüll-Debatte jegliches Vertrauen verspielt wurde. Dafür stehen die drei Ortsnamen Morsleben, Asse und Gorleben. Die politischen Parteien, die Regierungen von Bund und Ländern, die beteiligten WissenschaftlerInnen und wissenschaftlichen Institutionen, die Behörden und nicht zuletzt die AKW-Betreiber – alle sind sie mit dem Makel behaftet, dass sie bisher in Sachen Atommüll quasi alles falsch gemacht haben.

Wie kann nach allen Desastern der Vergangenheit neues Vertrauen entstehen? Nur, indem die üblichen Spielregeln der Parteipolitik für dieses Problem über den Haufen geworfen werden. Denn was nutzt es, wenn diejenigen (also die Parteien), denen die Menschen in dieser Frage mit am wenigsten vertrauen, ein neues Verfahren auf den Weg bringen? Denn dann traut auch niemand diesem Verfahren.

Nur ein gemeinsam entwickeltes Verfahren wird gesellschaftlich tragen

Die Erfahrung aus anderen Ländern und alles Wissen über Bürgerbeteiligung in eskalierten Konflikten lehrt uns: Das Suchverfahren muss von allen, die sich überhaupt um dieses Problem scheren, gemeinsam entwickelt werden. Besonders wichtig sind diejenigen, die an Orten leben, an denen schon heute Atommüll lagert. Denn sie sind schon jetzt direkt betroffen. Besonders wichtig sind diejenigen, die in den letzten Jahrzehnten jegliches Vertrauen verloren haben - wie die Menschen im Wendland. Denn sie sind die ExpertInnen dafür, was es braucht, um neues Vertrauen zu gewinnen.

Aber wichtig sind auch alle anderen, bis hin zu den AKW-Betreibern. Ja, und auch die Parteien gehören natürlich mit an den Tisch, denn am Ende muss der Bundestag entscheiden. Doch nur gemeinsam und im Einvernehmen kann es gelingen, ein Verfahren zu entwickeln, das gesellschaftlich trägt. Deswegen begeht die Politik einen großen Fehler, wenn sie jetzt auf die Schnelle ein Endlagersuchgesetz beschließen will, das wieder nur in Berliner Hinterzimmern von einem kleinen Kreis von PolitikerInnen ausgehandelt wurde – und das aus vielen politischen Formelkompromissen besteht, aber keine gemeinsame Idee verfolgt. Das wird nicht funktionieren.

Parteien haben kein Vertrauen in Bevölkerung

Der AK End, ein Kreis von WissenschaftlerInnen mit konträren Meinungen zur Atomkraft, hat schon vor einem Jahrzehnt im Auftrag der Bundesregierung über einen Weg zu einem Verfahren intensiv nachgedacht. Sie haben schon damals vorgeschlagen, eine zweijährige gesellschaftliche Debatte zu führen, bevor ein Gesetz beschlossen werden kann. Jetzt will die Politik es stattdessen mit einem Wochenende Anfang Juni regeln: Bei einem »Forum Standortauswahlgesetz« können sich VertreterInnen gesellschaftlicher Gruppen, aber auch interessierte BürgerInnen, in Statements von maximal fünf Minuten Länge einbringen – zu einem Gesetz, das dann schon die erste Lesung im Bundestag hinter sich hat. Es ist bitter: Den Verantwortlichen fehlt einfach jedes politischen Fingerspitzengefühl in dieser Frage.

Nein, die Parteien haben es nicht verstanden. Sie haben kein Vertrauen in die Bürgerinnen und Bürger. Sie denken, am Ende müsse man ein Atommüll-Lager so oder so mit Polizeigewalt durchsetzen. Sie denken, es sei möglich, es durchzusetzen. Aber auf diesem Weg werden sie scheitern. Es geht nur mit den Menschen, nicht gegen sie.

Deshalb fordern wir die Fraktionen im Bundestag und die Regierungen im Bund und den Ländern auf, das Gesetzgebungsverfahren zu stoppen und einen Prozess zu einer gesellschaftlichen Einigung über das Suchverfahren einzuleiten. Wir sind bereit, darin Verantwortung zu übernehmen, auch wenn wir große Hürden sehen. Beispielsweise ist für uns schwer vorstellbar, die Suche nach einem Lagerplatz für Atommüll zu beginnen im Bewusstsein, dass damit ein Risiko für die Menschen in der betroffenen Region verbunden ist, wenn gleichzeitig noch in neun Atomkraftwerken tagtäglich weiter Atommüll produziert wird. Auch darüber müssen wir dringend reden.

Ein weitreichendes Angebot

Aber wir stellen keine Vorbedingungen, außer der einen, dass alle in die Entwicklung des Verfahrens mit einbezogen sein müssen – im Sinne echter Mitbestimmung –, die daran beteiligt sein wollen. Nicht wir als Anti-Atom-Organisation wollen alleine bestimmen, wo es bei der Suche nach einem Lagerplatz für Atommüll langgeht – das könnten wir auch gar nicht. Sondern wir wollen, dass alle mitbestimmen, die dazu etwas beitragen können und wollen.

Uns geht es nicht um Partikularinteressen der einen oder anderen Region oder des ein oder anderen Standorts. Uns geht es darum, die Gefahren für die kommenden Generationen, egal an welchem Ort, möglichst gering zu halten. Dafür wollen wir unseren Teil der Verantwortung für die Erarbeitung eines Verfahrens übernehmen, das mehr Vertrauen der Bevölkerung herstellt. Und wir fordern alle anderen auf, ihren Teil der Verantwortung zu übernehmen.

Klar, eigentlich liegt unsere Kernkompetenz darin, Protest und Widerstand zu organisieren. Das können wir richtig gut. Und wir könnten es uns einfach machen und auch jetzt einfach nur den Protest an allen Orten unterstützen, die möglicherweise von dem neuen Gesetz betroffen sein werden. Aber wir sind bereit, den für uns schwereren Weg zu gehen und an einem Suchverfahren mitzuarbeiten. Das ist ein weitreichendes Angebot – ein riesiger Schritt für uns, die wir immer vor den Gefahren der Atomkraft und des Atommülls gewarnt haben und weiter warnen. Wir können ihn nur gehen, wenn die Politik uns – und allen anderen – auch die ehrliche Chance dazu gibt.

Bund-Länder-Kommission ist keine Lösung

Die jetzt in ein ungeeignetes und unschlüssiges Gesetz eingebaute Bund-Länder-Kommission kann diese Aufgabe nicht meistern. Denn ihr fehlt das Vertrauen der Gesellschaft. Denn mit der falschen Reihenfolge – erst das Gesetz und dann die Kommission – wäre schon der Beginn dieses Prozesses vergiftet. Das Misstrauen ist zu groß, dass am Ende die Ergebnisse der Kommission von der Politik nicht umgesetzt werden oder dass die zwölf PolitikerInnen unter den 24 Mitgliedern gute Ergebnisse von vorne herein verhindern, weil sie ihr Gesetz nicht mehr ändern wollen. Dann wäre die Runde nur ein Feigenblatt für ein schlechtes Verfahren.

Peter Altmaier, Sigmar Gabriel, Jürgen Trittin und Winfried Kretschmann sprachen von einem historischen Tag, als sie sich am 9. April auf das Gesetz geeinigt hatten. Nein, dieser Tag war nicht historisch. Doch die vier können einen großen Fehler vermeiden, wenn sie jetzt die Reißleine ziehen und, statt in aller Eile ein ungeeignetes Gesetz zu beschließen, auf die Gesellschaft zugehen und von sich aus sagen: »Wir müssen reden – und zwar gründlich.« Und wenn die Alpha-Männer nicht über ihre Schatten springen können, dann muss es eben die pragmatische Kanzlerin tun.

(Quelle: ausgestrahlt.de | Jochen Stay 2013)