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Gedanken zur Jahresversammlung des ÖNB

Predigt am Sonntag, 13. Mai 2001
P. Dr. Othmar Noggler

Wer daran glauben kann, daß hinter und über dem, was wir heute im Makrokosmos und vor allem im Mikrokosmos mehr erahnen als erkennen, weil uns dafür die Vorstellungskraft und die bewußte Lebenszeit fehlen, wer daran glauben kann, daß hinter und über all dem ein schöpferischer, ordnender Geist waltet, dem wir in unserer Sprache den Namen »Gott« gegeben ..., wer daran glaubt, daß Gottes Geist in der gesamten Schöpfung wirkt, daß der Mensch sein Ab- und Ebenbild ist und deshalb mit ähnlicher, natürlich geschöpflich begrenzter Kreativität verantwortlich in der Schöpfung wirken soll ..., wer an den schöpferischen Geist Gottes glaubt, wird, wenn er Verstand und Herz öffnet, in unserer Zeit Einmaliges, bisher kaum denkbare geistige Strömungen feststellen.

Neues - Gutes - entsteht unter Geburtswehen

Als Christen könnten wir zurückgehen auf die Gründung des Ökumenischen Rats der Kirchen, weitergehen zur Weltversammlung für Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung Schöpfung in Seoul, könnten Basel und Graz als Stationen in Europa festhalten, als Versammlungen, auf denen Visionen erstanden, die - zwar unter Nöten und Abstrichen - ungeahnt vieles wachsen ließen.

Dazu gehört seit Seoul ein wachsendes Gespür für Gerechtigkeit. Die Vertreterinnen und Vertreter des Südens haben sie eindrücklich und nachdrücklich eingefordert, sehr zur Überraschung mülltrennender Paradeökologen aus Deutschland. Die Rede von der einen Welt, von dem einen gemeinsamen Boot, in dem wir alle säßen, hat sich vor den kritischen Augen der Menschen des Südens als zu einfach, zu hohl erwiesen. Täuscht diese Rede doch über die unerträgliche Wirklichkeit hinweg, daß - um im Bild zu bleiben, - einige wenige auf dem Sonnendeck reisen, während die große Mehrheit im Kohlenbunker schuftet und von dem leben muß, was die Erste-Klasse-Reisenden übrig lassen oder verschmähen. Zudem vermittelt die Rede vom einen Boot, den Eindruck, es sollte sich deshalb auch nichts ändern. Aber es ist nicht gleichgültig, ob jemand in der einen Müllhalden produziert, oder ob er auf der Müllhalde nach Brauchbarem, gar nach Eßbarem wühlen, seine Kindheit, Jugend und ein kurzes von Krankheiten geplagtes Erwachsenenleben fristen muß.

Weil das nicht angeht, weil das im Namen der Überzeugung von der Würde des Menschen geändert werden muß, muß auch der Widerstand wachsen gegen eine weltweite Politik, die den Menschen zunehmend mißachtet und mißbraucht und dabei ist, ihn dem Götzen »Freier Markt« in den Rachen zu werfen: Kinder, Kranke, Schwache und Alte und auch hier wiederum erbarmungslos und zuerst in den Ländern des Südens.

Dahin gehört die Nachricht, menschliches Leben dürfe gezüchtet und verwertet werden, um Leben in der Erstklassegesellschaft auch noch in seiner Auslaufphase erträglicher zu machen, während die Mittel fehlen, um Kinder zu Millionen vor heilbaren Allerweltskrankheiten zu schützen. Sie werden um ihr Leben betrogen.

Auch das geschieht in der einen Welt, wird Menschen angetan, von denen wir Christen behaupten und glauben, sie hätten als Geschöpfe Gottes die gleiche unantastbare und unaufgebbare Würde wie wir, unabhängig von Alter und Geschlecht, sozialer Stellung, Bildung, Hautfarbe und Religion.

Natürlich liegt der Rede von der einen Welt und dem einen Boot bei den meisten, die diese Bilder gebrauchen, die Vorstellung zu Grunde, daß Überleben und Untergang alle betrifft und deshalb jeder und jede hier in Verantwortung genommen ist. Nicht wenige setzen sich deshalb für Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd, oben und unten ein. Sie waren und sind unsere Partner.

Ein Kairós

Verantwortliche Politiker, wie einst Willy Brandt in der Nord-Süd-Kommission der Vereinten Nationen, setzen auf die Religionen, weil diese über die nüchterne Einsicht und über Nützlichkeitserwägungen hinaus, die Motivation zum Handeln auch gegen den Trend der Zeit, in der zeitlosen Verantwortung gegenüber dem Schöpfer verankern.

Hier ist in unserer Zeit das Einmalige geschehen, welches die Alten »KAIROS« (»die rechte Gelegenheit«) nannten.

Wie einst die Propheten im alten Israel den Glaubenden die Augen geöffnet haben dafür, daß Jahwe nicht nur ein Stammesgott ist, ausschließlich zu ihrem eigenen Wohl und zum Schrecken aller anderen, wie einst die Jüngergemeinde - ebenfalls nicht ohne schweres Ringen - begreifen lernen mußte, daß das, was Jesus ihnen von Gott als einem sorgenden Vater, von seiner eigenen Sendung und von seiner Vision einer künftigen geschwisterlichen Gesellschaft mitgegeben hat, »gute Nachricht« für alle ist und sein soll, so haben wir heute einen ungeahnten und unverdienten Kairos.

Wir sind Zeugen einer neuen Qualität von Ökumene.

Als Katholik mußte ich einst lernen, daß z. B. das Ökumenebüro einer deutschen Landeskirche lediglich die Beziehungen zu einer anderern Landeskirche im Auge hatte. Unser inzwischen gemeinsames und selbstverständliches Ökumene-Verständnis ist entschieden vom Ökumenischen Rat der Kirche geprägt, wird als Zusammenarbeit und Zusammenschluß, gar Zusammenwachsen aller christlichen Kirchen begriffen.

In Straßburg haben am Sonntag nach Ostern, dem 22. April dieses Jahres, der Präsident der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), der orthodoxe Metropolit Jeremie, und der Präsident der Europäischen Bischofskonferenz (CCEE), Kardinal Vlk, eine »Charta oecumenica« unterzeichnet, die nach zweijähriger extensiver Diskussion in ganz Europa einen Leitfaden für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa vorlegt.

In der Erklärung von Hannover »Rassismus erkennen - Farbe bekennen« unterstützen die evangelischen, die katholischen und die griechisch-orthodoxen Kirchen in der Bundesrepublik die Woche der ausländischen Mitbürger im September 2001 (23.-29.9).

Ungehörtes und für viele noch Unerhörtes ist im Gange: die größere Ökumene

1986 lädt Johannes Paul II. Vertreter aller Religionen zum Weltgebet für den Frieden nach Assisi ein und zieht sich heftige Kritik der »Rechtgläubigen« zu, die das Zeichen nicht begreifen:

Menschen, die beten können, die sich verantwortlich wissen aus ihrem Glauben für das Wohlergehen ihres Nächsten im eigenen Land, auf dem gleichen Kontinent und auf dem ganzen Globus, Menschen, die daher für Gerechtigkeit sorgen müssen, damit Friede werde, sie alle brauchen Kraft, Hoffnung und Ausdauer, um die sie gemeinsam als Geschöpfe Gottes den Gott des Friedens bitten.

In unseren Tagen zeigt der gleiche Johannes Paul II. keine Scheu, in die Omadjaden-Moschee in Damaskus zu gehen und dort auch zu beten. Er hat hier ebenso ein Zeichen gesetzt, wie er es schon mit seinem Besuch in der Synagoge von Rom oder im dortigen islamischen Zentrum getan hat.

Das sind Gesten, deutlicher als viele Worte, die uns »Ökumene« im ursprünglichsten Sinn des Wortes wieder begreifen lassen: als den von Menschen gemeinsam bewohnten Erdkreis, Ökumene als Gemeinschaft von Menschen, die sich eingebettet wissen in die Schöpfung und von daher auch die Kraft finden, - über den praktischen Nutzen intakten Natur im eigenen Umfeld und über erträgliche nachbarliche Beziehungen hinaus - umfassende Verantwortung für die Gegenwart und die Zukunft zu übernehmen, damit wir alle zukunftsfähig werden.

Die Ernte ist reif nach den Worten Jesu: Bitten wir um Erntehelfer!

Paradigmenwechsel: Weg vom Machbarkeitsrausch

Wir können das Paradigmenwechsel nennen, eine Veränderung des Bezugsrahmens. Bisher wurde in der Theologie in konfessionellem Verständnis der »status confessionis«, das Unterscheidende und damit das jeweils - je nach Verständnis - »wirklich Wahre« herausgekehrt. Nun sind wir auf einem guten Weg, auf die Grundlage menschlicher Existenz überhaupt zurückzugreifen; denn der Mensch ist zuerst Geschöpf Gottes, noch bevor von besonderer Auserwählung, Sünde und Erlösung die Rede ist.

Auch in der Wissenschaft beobachten wir entgegen dem allgemeinen Eindruck eine Umkehr. Zwar bedroht uns noch immer der tatsächliche Machbarkeitsrausch, wie ihn der Philosoph La Métrie mit seinem berühmten Buch »l'homme machine« (der Mensch - eine Maschine) ausgelöst und damit vor allem die Naturwissenschaften in den letzten drei Jahrhunderten geprägt hat. Diesem Denken verpflichtet, hieß die logische Folgerung: »Das Gerät Mensch« kann und soll verfeinert, leistungsfähiger, langlebiger und neuerdings auch energiesparender entworfen werden, damit es brauchbarer, effizienter und pflegeleichter wird für die Gesellschaft. - Bleibt nur die Frage, für welche Gesellschaft und für wen in der Gesellschaft!

In den USA experimentiert man zwar schon mit dem »Designerbaby«. Eltern wollen und werden sich »ihr Baby« ähnlich wie beim Autokauf, nach Modell, Farbe und Leistungsmerkmalen im Katalog »zusammenstellen«, selbst wählen: Der künftige amerikanische »Supermann« und das »Superweib« wird die Führungsrolle des American way of life festigen, als Modell für den Rest der Welt ausschlaggebend sein und den größten Teil der Menschheit zum Paria-Dasein verdammen ...

Umdenken

So ist zu befürchten, wären da nicht auch Wissenschaftler, die dieses Mene-Tekel erkennen und die deshalb ebenfalls einen Standortwechsel gegenüber La Métrie vornehmen. Dabei begreifen sie den Kosmos, den großen und den kleinen, als Beziehungsgeflecht, in dem der Mensch, selbst ein Makro- und Mikrokosmos von Beziehungen, beziehungsreich eingebettet ist.

Auch das gehört zu dem bisher Ungehörten und für viele Unerhörten, gehört zu den Zeichen der Zeit, die wir Christen im Vertrauen auf den Geist Gottes, der auch in unserer Zeit wirkt, als KAIROS verstehen dürfen: Zeichen des Umdenkens, das allemal Voraussetzung für die Erfahrung des Reiches Gottes ist.

Die Ernte ist reif, nach den Worten Jesu:

Bitten wir um Erntehelfer!

P. Dr. Othmar Noggler

Netz-Info, Sommer 2001

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