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Predigt beim Gottesdienst der Jahresversammlung des ÖNB

Sonntag, 17. März 2002, in der ev.-ref. Hugenottenkirche zu Erlangen
Dr. Othmar Noggler OFMCap

Entzweie sie Herr, verwirr ihre Sprache!
Denn in der Stadt sehe ich Gewalttat und Hader!...
In ihr herrscht Verderben;
Betrug und Unterdrückung weichen nicht von ihren Märkten
(Psalm 55,10.12)

»Nichts Neues unter der Sonne«, könnten wir mit dem Prediger sagen - Gewalttat und Unterdrückung seit eh und je, seit zweieinhalb Jahrtausenden die gleiche betrübliche Erfahrung, wenn da der Fortschritt nicht wäre, der Einzelschicksale von damals millionenfach multipliziert, den heutigen Opfern die Chance nimmt, dem Unterdrücker ins Auge zu schauen, den Gewalttäter zu beschämen, weil jemand die Kraft aufbringt, nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten und der Gegner empfindsam genug ist, die glühenden Kohlen auf seinem Haupt zu spüren.

(vgl. Sprichwörter 25,21-22: »Hat dein Feind Hunger, gib ihm zu essen, hat er Durst, gib ihm zu trinken; so sammelst du glühende Kohlen auf sein Haupt, und der Herr wird es dir vergelten« = Röm. 12,20).

Wer hat letztendlich ganze Völker in die Schuldenfalle gelockt? Wer war es, der Wucherzinsen festlegte, Menschen beibrachte, sie seien unterentwickelt ohne unseren Industriekram? Wer hat die Märkte des Südens mit subventionierter Ware überschwemmt, die Gegenwehr als Rückständigkeit, Missachtung der Gesetze des freien Marktes gebrandmarkt? Im Namen des freien Zugangs - der Globalisierung -, d. h. im Namen der Freiheit der Stärkeren und der eigenen Arbeitsplätze, Millionen von Existenzen des informellen Marktes zerstört?

Es ist der Fortschritt, der den Opfern die Chance nimmt, auf gleicher Augenhöhe, wie ein treffendes Wort heute sagt, ihre Rechte wahrzunehmen und einzuklagen.

An wen sich wenden, wenn der eigentliche Gegner nicht auszumachen, der unmittelbare Gegner hinter Tonnen von Stahl sich sicher versteckt oder unerreichbar für jede Gegenwehr, aus Tausenden von Metern Höhe per Knopfdruck Leben auslöscht, als ginge es um industrielle, landwirtschaftliche Schädlingsbekämpfung?

Es ist die Verzweiflung, die Angst vor Unterdrückung und Folter, die Verantwortung gegenüber den eigenen Kindern, die Menschen zu Flüchtigen und Flüchtlingen macht und sie bei uns in die Falle der Rechtsstaatlichkeit führt. Es ist auch Verzweiflung, die den irrsinnigen Glauben aufkommen lässt, unschuldige Opfer würden die politisch Verantwortlichen zum Nachdenken bewegen, weshalb das Symbol des zügellosen Kapitalismus - das Welthandelszentrum, eine Art Allerheiligstes im ganzen System - als Ziel letztlich ohnmächtigen Um-sich-Schlagens gewählt wurde.

Die Opfer, so unschuldig wie wir alle, die Nutznießer des Systems sind, weit weg von der erlittenen Not, der täglich erlittenen Schmach, ohnmächtige Manövriermasse im politisch-globalen Spiel zu sein.

Der Opfer des 11. Septembers wurde zu Recht gedacht. - Nur, die Opfer unter der bitterarmen, doppelt und dreifach geschlagenen Bevölkerung Afghanistans wurden grundsätzlich verschwiegen. - Nie wurde eine Zahl genannt, sie wurden zu side-effects, zu unvermeidlichen Nebenwirkungen degradiert.

Für sie wurde keine Gedenkminute eingelegt, keine Trauerfeierstunde gehalten.

Es ist hohe Zeit, dies hier und jetzt, wenigstens unter uns - wenigstens mit einer einzigen Gedenkminute - nachzuholen.

Es ist schiere Verzweiflung, die Palästinenser glauben macht, genügend eigene und fremde Opfer würden die Besatzer zum Rückzug zwingen, nachdem UNO-Resolutionen dies nicht vermögen und sonst wohlfeile Sanktionen für institutionalisierte, gröbliche Verletzungen der Menschenrechte einfach ausbleiben.

Immerhin scheint der Osservatore Romano, als Organ der katholischen Kirche, Kofi Annan, als Generalsekretär der Vereinten Nationen, die USA im UNO-Sicherheitsrat, der EU-Gipfel in Barcelona endlich ein bisher ungekanntes Wort zu wagen.

Offensichtlich konnte die Opfergeneration der Shoa ihre schauerliche Erfahrung nicht so weitergeben, dass künftig niemand mehr im Lande zum Opfer erniedrigt werden darf.

Dabei bräuchte die Welt nichts nötiger als ein greifbares Beispiel einer Regierung, eines Volkes, das die Philosophie des Rechts des Stärkeren endgültig verwirft und nicht in die Falle aller Besatzer tappt, die wider alle Erfahrung glauben macht, mit Demütigung, Terror, Vertreibung, gar Folter und Tod der Lage Herr zu werden, die Gewalt, die sie selbst gesät oder mit gesät haben, ausrotten zu können.

Erlittenes Unrecht, und sei es noch so fürchterlich wie das, das die jüdische Bevölkerung Europas erlitten hat, darf kein Freibrief für Nachgeborene sein, nun selbst in der Rolle des Stärkeren, fundamentale Menschenrechte mit Füßen zu treten und Leben des nicht eigenen Volkes zu verachten.

Wir tun dem Volk in Israel einen Bärendienst, wenn wir ihm nicht helfen, die Gewaltspirale zu durchbrechen, die nur ihm, dem Stärkeren, haushoch Überlegenen, möglich ist. Dazu braucht es das offene - prophetische Wort, das es aus seiner Geschichte kennt, das Wort der Anklage, der Klage, aber auch der Ermutigung und des geistigen Beistandes. Die Allianz des schlechten Gewissens gegenüber den Opfern der Shoa, die Allianz des Schweigens muss aus Verantwortung vor dem Menschen und seinem Schöpfer, an den Juden, Christen und Muslime glauben, gebrochen werden.

»Entzweie sie, Herr, diejenigen, die sich so einig sind, so felsenfest überzeugt, dass sie gar in deinem Namen handeln; verwirr ihre Sprache, dass sie fähig werden, auf andere hinzuhören, deren einmalige Würde zu erkennen und zu achten.

Wie heißt es in unserem Grundgesetz? »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Nizza, 7.12.2000) ergänzt: »Die Würde des Menschen ist unantastbar, sie gilt es zu achten und zu schützen«. Im Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom Jahr 1948 heißt es: »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren«.

Im gemeinsamen Glaubensbekenntnis der Kirche beten wir: »Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel herabgestiegen, hat Fleisch angenommen und ist Mensch geworden." - Einer von uns, - und wir alle Geschwister - ausgestattet mit Würde, die kein Henker und kein Bürokrat nehmen kann und vor allem darf, die auch wir, auch unter Klage und Anklage, nicht beschädigen dürfen.

Wer George W. Bush einen Cowboy nennt, mag in seiner Beurteilung nicht ganz falsch liegen. Die einfache Strickart, die Welt nach eigenem Dafürhalten und Nutzen in Gute und Böse einzuteilen und mit dem Colt für den Sieg der vermeintlich gerechten Sache zu sorgen, und dabei nur den eigenen Clan vor Augen zu haben, etwaige fremde Opfer als Nebenwirkung abzutun, passt ins Muster Cowboy, wie es in den Wildwestfilmen zu sehen ist; immer noch als die glorreiche Zeit verherrlicht, in der ethnische Säuberung und Kopfgeld für umgebrachte Indianer zum Selbstverständnis der Auserwählung gehörten. Wenn auch mittlerweile Rambo oder die Außerirdischen die Führung in den Medien übernommen haben, - der »Pioniergeist« besiegt alles und jedes.

Die Beschreibung mag passen, etwas abgewandelt, Sharon aus gleichem Holz geschnitzt erkennen lassen. Nur: Diese Sprache hat mit Gewalt überwinden, zukunftsfähig machen, wenig zu tun. Wir müssen kreativer werden, die Spannung bewusst wollen zwischen prophetischer Anklage und Klage, und Achtung auch vor dem Feind; denn es geht um Menschen. Das gilt es vor- und bewusst zu machen.

Ich muss mich fragen: Wären Bush's und Sharon's Handlungen nicht auch die meinen, hätte ich die Macht, befände mich in ihrer Lage? Näher läge aus meiner Biographie wohl die Rolle des sogenannten Terroristen, - sogenannt deshalb, weil aus ihnen Staatsmänner werden, sobald sie tatsächlich die Staatsmacht errungen haben.

Als wir als Schulkinder von Tieffliegern beschossen wurden, packte mich ohnmächtige Wut, ich wollte mich wehren gegen einen Feigling, der in sicherem Abstand über uns herfiel - vielleicht war er auch nur ein übermütiger junger Pilot, der sich einen Spaß daraus machte, Kinder zu erschrecken. Oder hat er nur nicht getroffen? Zwölf Kilometer weiter wurden sieben spielende Kinder von einem Tiefflieger erschossen.

Von Erwachsenen entsprechend geschult, angeleitet und verleitet, wäre ich vermutlich zu jeder Heldentat fähig geworden. Nicht für Führer, Volk und Vaterland, wie es hieß, dazu war ich nicht erzogen, aber aus Achtung vor mir selbst.

Es geht immer, auch im Rahmen des Ökumenischen Netzes, zuerst darum, sich in Menschen, ihre Lage, ihren Werdegang hineinzudenken. Im Netz sind es dann vor allem die Schwachen, die unsere Solidarität brauchen und suchen. Es geht aber auch um uns selbst, um die Suche nach Gleichgesinnten, den gemeinsamen Grund und Halt, der uns nicht resignieren lässt. Damit uns der Frust nicht innerlich zerfrisst, hundertfach erfahrene Ohnmacht nicht lähmt, und, das sage ich von mir, die blanke Wut nicht das Hirn ausschaltet.

Denn wir leiden zwar mit den Opfern von Gewalt, institutionalisierter Gewalt, an einer oft genug von Hybris geprägten Bürokratie im eigenen Land, aber wir sind nicht die Opfer! Wir stehen zusammen, ein armseliges Häuflein, das sich einsetzen will für die Millionen, die chancenlos sind, bevor sie noch zur Welt kommen. Weil ihre Mütter schon unterernährt sind, der Hunger ihr ständiger Begleiter ist, Menschen, die nicht einmal ihren Durst löschen können mit sauberem Wasser, die wegen Kinderkrankheiten zugrunde gehen, die eigentlich längst besiegt sind. Wir sehen Kinder, die bei ihrer Geburt mit Aids infiziert werden, weil die notwendige Hygiene fehlt, die vorzeitig ihre Eltern verlieren, weil Medikamente sich rechnen müssen, wie der verräterische Ausdruck lautet.

Es geht um nichts weniger als gegen die Allianz des Marktes, in der alle zusammenstehen, die, und so lange sie auf der Gewinnerseite stehen, bereit, dem Götzen Markt achselzuckend Hekatomben von Menschenleben zu opfern, alles zu vermarkten, was sich vermarkten lässt: das Leben von Kindern, die eigene Seele, die Grundlagen des Lebens selbst.

Das Ökumenische Netz ist von Anfang an dem Gedanken des konziliaren Prozesses verpflichtet: Gerechtigkeit zuerst, darauf kann Frieden aufbauen und wachsen, und Bewahrung der Grundlagen allen Lebens, die wir Christen als »Schöpfung« erkennen, weil wir sie als Geschenk aus der Hand dessen begreifen, der das Universum erdacht - und darin auch die kosmische Eintags- besser: Sekundenfliege »Mensch« gewollt hat - und die doch so »kostbar ist in den Augen des Herrn«.

Daran haben die alten Propheten Israels Hoch und Nieder erinnert, Gottes Strafgericht angedroht, geradezu als selbsterfüllende Prophezeiung, weil sich eine Gesellschaft, die Betrug, Unterdrückung und nackte Gewalt zu den Maßstäben ihres Denkens und Handelns macht, sich selbst zerstören wird.

Daran erinnert die inständige Bitte des Beters von Psalm 55: »Entzweie sie, Herr, verwirr ihre Sprache, lass die falschen Allianzen platzen, damit eine Chance wird, eine Kultur des Friedens zu schaffen, die auch den zwei Dritteln der Menschheit eine Lebenschance in Würde möglich macht.

Mach uns offen für die Sprache des Geistes, der Parther, Eder, Elamiter... Juden und Proselyten, Kreter und Araber - allesamt einander nicht besonders grün - damit er sie zusammenbringt, um Gottes Taten zu verkünden: Dass Menschen, die Macht haben, Menschen, die leiden unter der Macht, eine gemeinsame Aufgabe erkennen: Samen des Friedens auszusäen, den Boden zuerst dafür bereiten, verkrustete, zerstampfte Erde zu lockern, den Keimling zu gießen und zu schützen, damit eine Kultur des Friedens langsam wachsen kann, die alle zum Preis aufruft: Schöpfung und Geschöpfe zum Lobe des Schöpfers.

Dr. Othmar Noggler OFMCap

Netz-Info, Juni 2002

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